Von Mitte bis Ende April ereignete sich ein aufsehenerregender Sorgerechtsstreit in der Stadt Austin im US-Bundesstaat Texas, der zunehmend Einzug in die amerikanische Presse und Öffentlichkeit fand. Das Interessanteste daran sind die zwei Aspekte, die vielleicht auch für dich eine bedeutsame Rolle spielen – der narzisstische Missbrauch und die so genannte Eltern-Kind-Entfremdung.
Dieser Sorgerechtsstreit in Texas zog meine Aufmerksamkeit auf sich, da er ein für viele Opfer narzisstischen Missbrauchs wichtiges Thema oder – sagen wir besser – sehr bekanntes Thema beinhaltet, nämlich die gezielte Manipulation von Kindern, begangen von einem toxischen Elternteil. Aber der Reihe nach.
Vor dem texanischen Gericht versuchte der als „Verschwörungstheoretiker“ bekannte Alex Jones, der als Betreiber der Plattform „Infowars“ mittels Radio und einem Youtube-Kanal Millionen von Menschen in den USA, aber auch auf internationalem Parkett erreicht, überzeugend darzustellen, warum er das alleinige Sorgerecht für seine drei Kinder (2 Töchter, 1 Sohn) verdient habe. Kelly Jones, seine Ex-Frau und Mutter der Kinder, gab an, dass Alex Jones sie nicht nur emotional und sexuell missbraucht, sondern auch die gemeinsamen Kinder von ihr entfremdet habe. Er sei ein „gewalttätiger, missbräuchlicher Mann, rassistisch, homophob, gegen Frauen eingestellt“ und dies „sowohl in seiner Sendung als auch Zuhause“, wie der Journalist Jonathan Tilove vom „Austin American-Statesman“ direkt aus dem Gerichtssaal twitterte.
Weiterhin beklagte sie, dass Alex Jones alles in seiner Macht stehende tat, um die Kinder von ihr fern zu halten, was schlussendlich darin endete, dass sie ihre Kinder kaum sah (eines der Mädchen lehnt den Kontakt zur Mutter gänzlich ab). In manchen Monaten sah sie ihre Kinder überhaupt nicht, in anderen nur für 2 Stunden. In diesem Jahr bekam sie ihre Kinder fünf Mal für jeweils eine sehr kurze Zeit zu Gesicht.
Seit nun mehr knapp 4 Jahren (seit der Scheidung im Jahr 2013) ist eine fast unüberschaubare Gruppe an Psychotherapeuten, Betreuern und Anwälten in den Fall involviert und verdient sich eine goldene Nase. So gab eine Psychotherapeutin im Zeugenstand an, mit dem Fall Jones 175.000 US-Dollar im Jahr verdient zu haben. Kelly Jones sagte unter Tränen aus, dass sie bisher 2,4 Millionen US-Dollar in Anwälte, Therapeuten, Fall Manager usw. investiert habe, aber jeden Cent ausgeben würde, da sie nicht aufgeben will. Insgesamt waren nur allein in Bezug auf Kelly Jones 27 Therapeuten betreut, wie ihr Anwalt deutlich machte. Im Laufe des Prozesses stellte sich heraus, dass Alex Jones mit einer Narzisstischen Persönlichkeitsstörung diagnostiziert wurde.
Kelly Jones wurde seitens seiner Anwälte vorgeworfen, dass sie „emotional instabil“ sei und Alex Jones sagte direkt aus, dass sie keinerlei positiv zu erwähnende Eigenschaften habe, die sie als Mutter auszeichnen würden. Seine Anwälte gaben sich darüber hinaus große Mühe, ihn als treu sorgenden Vater darzustellen und seine menschlichen Qualitäten als Vater von seinen bizarren und völlig absurden Auftritten auf seiner Plattform „Infowars“ zu trennen, indem sie ihn als „Performance Artist“ bezeichneten, der sich nur vor der Kamera derart gebärden würde, da er dort eben eine Rolle spiele. Alex Jones störte mehrmals die Verhandlung, es gab Ungereimtheiten, bei denen sehr viel Geld im Spiel war, eine durchaus merkwürdige Beteiligung seiner Eltern hinsichtlich des Vermögens und noch mehr bizarre Vorfälle, in denen die Kinder und auch seine frisch angetraute Ehefrau involviert waren. Was aus dem Gerichtssaal drang, war in dieser Hinsicht stellenweise sehr undurchsichtig und mysteriös.
Nach insgesamt 9 aufreibenden Verhandlungstagen und unzähligen Befragungen verschiedenster Personen aus dem Umfeld der Familie Jones, stimmten 10 der 12 Jury-Mitglieder dafür, dass Kelly Jones ein gemeinsames Sorgenrecht erhält und die Kinder nicht mehr bei Alex Jones, sondern bei Kelly leben sollen. Darüber hinaus soll es zu Anfang ein 90-tägiges Kontaktverbot für Alex geben, was Kelly für ein Programm nutzen möchte, das die manipulative Entfremdung, die ihr Ex-Mann bei den Kindern initiiert hat, aufzulösen sucht. Direkt im Anschluss an den Prozess machte Kelly Jones deutlich, dass sie sich ab sofort für mehr Aufmerksamkeit für das Thema Eltern-Kind-Entfremdung (Parental Alienation (Syndrome)) einsetzen wird.
Was ist die Eltern-Kind-Entfremdung (Parental Alienation (Syndrome))?
Der Kinderpsychiater Richard A. Gardner beschrieb im Jahre 1985 zum ersten Mal die Eltern-Kind-Entfremdung bzw. das Parental Alienation Syndrome (PAS). Hierzu führte er acht Merkmale bzw. Symptome auf, die für das PAS sprechen würden:
Eine Abwertungs-Kampagne
Das entfremdete Kind reagiert mit Hass und Abwertung auf den entsprechenden Elternteil, verleugnet positive Erlebnisse und Erinnerungen, lehnt Gespräche und den Kontakt ab und benimmt sich dem Elternteil gegenüber respektlos, herablassend und unverschämt.
Schwache, absurde oder alberne Begründungen für die Ablehnung des Elternteils
Wenn das Kind nach den Gründen für die Ablehnung gefragt wird, folgen alberne, nicht nachvollziehbare Begründungen wie z. B. das Essverhalten des Elternteils. Auch werden wilde Unterstellungen abgegeben, die nicht glaubhaft sind und nicht der Wahrheit entsprechen.
Ein Fehlen der Ambivalenz
Das Kind hebt den Elternteil in den Himmel, der für die Entfremdung verantwortlich ist, obwohl dies gar nicht notwendig, realistisch oder angebracht ist, während der andere Elternteil mit Verachtung behaftet wird.
Das Unabhängiger-Denker-Phänomen
Das Kind besteht darauf, dass die Ablehnung ganz allein von ihm ausgehe und der entfremdende Elternteil mit den Entscheidungen und Gedanken nichts zu tun habe.
Reflexartige Unterstützung des entfremdenden Elternteils bei allen elterlichen Konflikten
Das Kind stellt sich auf die Seite des entfremdenden Elternteils, ganz gleich wie unlogisch oder absurd der Elternteil argumentiert, und zeigt kein Interesse an der Sichtweise des anderen Elternteils.
Vorhandensein von Szenarien des entfremdenden Elternteils
Das Kind verwendet Worte, Sätze, Redewendungen, Phrasen, die es selbst gar nicht verstanden haben kann und die nicht von ihm erklärt werden, aber die dem entfremdenden Elternteil zu geschrieben werden können. Das Kind spricht roboter-artig oder wie auswendig gelernt und durchgespielt.
Zeigt sich zudem feindlich gegenüber der Familie und Freunde des entfremdeten Elternteils
Zuvor lieb gehabte Großeltern, Tanten, Cousinen usw. werden plötzlich abgelehnt und der Kontakt vermieden.
Weiterhin beschrieb Gardner drei verschiedene Stufen bzw. Schweregrade des Syndroms und fügte hinzu, dass sich die Anzahl der Merkmale und das jeweilige Ausmaß mit den Stufen zusammen erhöhe.
Das PAS wird bisher nicht wissenschaftlich anerkannt. Es gibt durchaus berechtigte Kritik in mehreren Bereichen. Auf der anderen Seite gibt es aber auch unzählige Elternteile, die das Sorgerecht aufgrund der Manipulationen ihrer toxischen Ex-Partner verlieren/verloren haben und selbst bei gemeinsamem Sorgerecht von ihren Kindern stetig emotional entfremdet werden. Toxische Menschen aus dem narzisstischen Spektrum manipulieren gekonnt und getarnt alles und jeden, so auch ihre Kinder.
Unter den Fachleuten gibt es Befürworter wie auch Kritiker des PAS. Untersuchungen ergaben, dass Kinder mit PAS vermehrt diverse psychische Schäden aufweisen wie z. B. Identitätsstörungen, Essstörungen oder Depressionen. Die Untersuchungen sind vielfach umstritten.
Vor einigen Tagen gab Kelly Jones nun eine Pressekonferenz und sprach sehr ausführlich über den Prozess, ihre Ansichten und über ihr gegenwärtiges und zukünftiges Engagement bezüglich der Eltern-Kind-Entfremdung.
So reflektierte Kelly Jones u. a.: „Ich wurde zu 100 Stunden Therapie gezwungen […] während die Experten Alex ignorierten und ihm den Freifahrtschein dafür gaben, zu tun, was er immer er wollte, inklusive schwerer Entfremdung der Kinder.“ Kelly benannte die Eltern-Kind-Entfremdung auch sehr deutlich, indem sie sie als „(emotionalen) Kindesmissbrauch“ bezeichnete.
Was in den USA aufgegriffen und publik gemacht wird, hat grundsätzlich gute Chancen auch zu uns über den großen Teich zu schwappen. Leider dauert dies erfahrungsgemäß ein wenig Zeit. Die PAS ist zwar nicht völlig unbekannt in Mitteleuropa, aber doch noch weitaus unbekannter als in den USA. Doch wenn das Thema Eltern-Kind-Entfremdung und der emotionale Missbrauch Öffentlichkeit erhält, vermehrt diskutiert wird und somit auch stärkeren Einzug in die Wissenschaft, Gerichtssäle, Anwaltskanzleien, Jugendämter usw. nimmt, dann wird dieser Themenkomplex auch bald in den deutschsprachigen Ländern mehr Aufmerksamkeit erhalten.
Es ist zu wünschen, dass sich in dieser Hinsicht etwas bewegt, da es einfach zu viele verzweifelte, oftmals selbst von dem jeweiligen entfremdenden (Ex-)Partner emotional missbrauchte Elternteile gibt, die von ihren Kindern systematisch abgeschirmt und leider stetig mit ihrem grausamen Schicksal allein gelassen werden. Ob es nun bei den acht Merkmalen von Gardner bleibt, diese verändert, modifiziert, neu formuliert, anders benannt…gerührt und geschüttelt werden, obliegt zunächst der Wissenschaft. Die Realität jedoch zu negieren und die gezielten Manipulationen und damit einhergehenden Entfremdungstaktiken, die keineswegs selten von toxischen (Ex-)Partnern ausgehen, geflissentlich zu übersehen, verursacht hohe menschliche Schäden. So wird das Kindeswohl sicherlich nicht beachtet.
Alex Jones will das Urteil der Jury anfechten. Ob er hier den Mund einfach nur sehr voll genommen hat oder dies tatsächlich umsetzen will, kann zum jetzigen Zeitpunkt nicht gesagt werden. In Anbetracht der Tatsache, dass Alex Jones über ein enorm großes Vermögen zu verfügen scheint, könnte er allerdings nahezu unendlich lang weitermachen. Kelly Jones warf ihm vor, erneut nicht am Wohl der Kinder interessiert zu sein – während sie selbst schon nach der Verkündigung der Jury-Entscheidung deutlich machte, zusammen mit Alex einen guten Umgang im Hinblick auf die Kinder finden zu wollen – und ließ durchblicken, dass seine Anwälte und sein Expertenteam an seinem Geld interessiert wären, indem sie ihn beeinflussten und den Fall immer weiter voran trieben. Die endgültige Umsetzung der Jury-Entscheidung obliegt der zuständigen Richterin und wird nicht vor dem 30. Mai erwartet.
Update März 2018: Kelly Jones hat ihre Kinder noch immer nicht. Nach wie vor sieht sie ihre Kinder kaum. Sie wirft dem Gericht Korruption vor. Mittlerweile sind auch weitere Elternteile aufgetaucht, die über ähnliche Zustände klagen und ebenfalls Korruptionsvorwürfe äußern.
Herzliche Grüße,
PS: Ich bin übrigens der Ansicht, dass du es wert bist, ein Leben nach deinen Wünschen zu führen.
Quellen zum Nachstöbern aus Interesse (alle Links in englischer Sprache):